Leseliste: Winterlektüre?
Winterlektüre – gibt es so etwas überhaupt? Es gibt Weihnachtsfilme, Weihnachtsmusik und es gibt zweifelsfrei auch weihnachtliche Bücher, aber gibt es Bücher, die nicht per se eine weihnachtliche Stimmung verbreiten, sondern einfach irgendwie „winterlich“ sind und sich zwischen November und Februar vermeintlich besser lesen lassen als im Hochsommer? Ähnlich wie bei meiner Leseliste Sommerlektüre vertrete ich nicht die Meinung, dass man sein Leseverhalten (oder generell sein Konsumverhalten) irgendwie von der Jahreszeit abhängig machen sollte… es kann nämlich auch enorm wohltuend sein, sich ein bisschen Sommer im Dezember oder Weihnachten im Juli zu gönnen. Trotzdem möchte ich hier und heute den Versuch unternehmen, ein paar Bücher vorzustellen, die irgendwie „Winterlektüre“ sind oder sein könnten.
Die Bridget Jones-Reihe von Helen Fielding
Die Filme um die britische, tollpatschige Bridget, die auf der Suche nach ihrem Mr. Darcy selbstauferlegte Diäten und zahlreiche andere zwischenmenschliche Katastrophen durchmachen muss, werden nicht umsonst jedes Jahr an Weihnachten ausgestrahlt. Bridget Jones ist der Prototyp der sympathischen Protagonistin von Romanen, die wohl hauptsächlich ein weibliches Publikum ansprechen sollen. Ganz selten einmal finde ich diese Frauen, die auf der Suche nach der ganz großen Liebe sind und sich dabei selbst nichts als Probleme machen, wirklich liebenswert, aber Bridget Jones hat mich – wie Millionen andere – irgendwie überzeugt. Die Bücher sind genau wie die Filme ganz furchtbar warmherzig und detailverliebt und irgendwie originell, obwohl es tausende Protagonistinnen wie Bridget gibt – nur ist einfach keine so gut gelungen.
Das Gespenst von Canterville von Oscar Wilde
Eine amerikanische Familie bezieht ein altes, englisches Herrenhaus und stürzt den ortsansässigen Geist mit ihrem fehlenden Aberglauben in eine Sinnkrise par excellence. Was ist ein Gespenst noch wert, wenn es niemandem mehr Angst und Schrecken einjagen kann? Wofür ölt man seine Ketten denn jahrzehntelang nicht, wenn es niemanden interessiert, wer da nachts stöhnend und ächzend über die Flure zieht? Die Erzählung von Oscar Wilde ist eine ziemlich zeitlose Geschichte, mit der meine Mutter mich so früh im Leben beschenkt hat, dass ich den Namen des Autors noch deutsch ausgesprochen habe, weil ich keine Ahnung hatte, dass der gute Herr Wilde aus Irland stammt…
Das Gespenst von Canterville strotzt vor lustigem Grusel, gespenstischer Frustration und… Liebe. Es ist keine Geistergeschichte im Sinne von Charles Dickens Weihnachtsgeschichte, aber trotzdem lösen die beiden Erzählungen bei mir ein ähnlich behagliches Gefühl aus. Deswegen preise ich das hier auch als die nicht-weihnachtliche, sondern winterliche Alternative zu Dickens an.
Liebling, ich habe die Katze getötet von Dorota Maslowska
Dieser Roman spielt im Sommer. Und in New York. Aber er ist so durch und durch irre, dass man ihn aus Prinzip schon besser im Winter liest, um mit dem Irrsinn dieses Buchs mithalten kann. (Ganz stabil argumentiert, ich weiß schon… merkt man, dass mir diese Liste gewisse Probleme bereitet? Gar nicht, oder?)
Ich habe das Buch vor vier Jahren gelesen und ich kann die Handlung beim besten Willen nicht mehr zusammenfassen, aber ich weiß noch, dass ich geflasht gewesen bin. Am Anfang der Geschichte steht die Freundschaft von zwei jungen Frauen in New York, die sich irgendwie ganz gut miteinander verstehen, weil sie beide so ein bisschen unglücklich und verzweifelt sind, obwohl es ihnen eigentlich bestens geht. Dann findet eine von ihnen das große Glück, die große Liebe, bla… und… ja, dann eskaliert alles sehr schnell. Oder auch nicht. Man weiß es nicht so richtig. Ich merke gerade, ich muss das Buch dringend nochmal lesen.
Krabat von Otfried Preußler
… und das ist auch wieder so ein Buch, das ich definitiv nochmal lesen muss. Krabat ist für mich in der fünften oder sechsten Klasse tatsächlich Schullektüre gewesen und darüber bin ich damals wie heute froh. Die Geschichte von der Mühle und ihrem mysteriösen Meister, in der sich die Jungen, unter ihnen Krabat, drei Jahre abarbeiten und dabei sehr strenge Regeln befolgen müssen, um nicht das Leben zu verlieren, ist einfach packend. Es mag an der Verfilmung liegen, aber ich muss nur das Wort Krabat hören und ich sehe direkt weite,karge Felder und die eingeschneite Mühle vor mir, die vielleicht nur von einem grimmigen, alten Mann, möglicherweise aber doch vom Teufel selbst betrieben wird. Ich würde die Hand dafür ins Feuer legen, dass Krabat nicht nur elfjährige, potenziell leicht zu beeindruckende Leser in seinen Bann ziehen kann, sondern einfach ein verdammt gutes, magisches, düsteres Buch ist. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass der Jahreswechsel ein sehr entscheidendes Datum in der Geschichte gewesen ist… und diese inhaltliche Ausrichtung auf die Neujahrsnacht ist ja wohl Grund genug, um den Roman auf die Liste hier zu packen.
Alles, was wir geben mussten von Kazuo Ishiguro
Kann man immer lesen, wenn man bereit ist, sich ein bisschen bedrückt zu fühlen. Zufälligerweise ist auch dieses Buch mal fast zur Schullektüre für mich geworden. Wir durften uns eine englischsprachige Dystopie aussuchen und aus Gründen, die nicht überliefert sind, hat mein Kurs sich gegen Alles, was wir geben mussten (Originaltitel: Never Let Me Go) und für Brave New World entschieden. Ich habe mir das Buch aus Prinzip dann natürlich trotzdem gekauft – zwar auf Deutsch, aber dennoch.
Die Geschichte um das merkwürdige Internat Hailsham, in dem Kinder leben, die in dem Wissen aufwachsen, dass sie etwas Besonderes sind, liest sich eher harmlos an und haut dann doch komplett rein. Zuerst fühlt es sich nur ein bisschen komisch an von einer Schule zu lesen, in der so großen Wert darauf gelegt wird, dass die Kinder kreativ sind und Kunstwerke erschaffen, aber dann spitzt sich die Grundidee dieser ach so heilen Welt um Hailsham herum derartig zu, dass man es kaum glauben will. Ich habe selten eine Dystopie gelesen, die sich so anschleicht. Der Panther unter den dystopischen Romanen, wenn man so will.
Und ich weiß, seitdem der Autor den Literaturnobelpreis erhalten ist, muss man ihn entweder in den siebten Himmel hochloben oder überbewertet finden, aber… ja, ich hype tatsächlich nur dieses Buch von ihm. Mit Was vom Tage übrig blieb habe ich mich über Wochen hinweg gequält und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gelesen. Dann kam diese Sache mit dem Literaturnobelpreis und mittlerweile bin ich ein bisschen ratlos… möchte ich mehr von ihm lesen? Möchte ich das nicht? Oder lese ich einfach immer und immer wieder Alles, was wir geben mussten, um auf Nummer sicher zu gehen? (Ich bin an dieser Stelle ganz offen für Vorschläge von nicht zu begeisterten Lesern, die vielleicht einen ähnlichen Zwiespalt leben, was Ishiguero betrifft.)